Grüner Stahl

Die Stahlindustrie ist einer der größten Umweltverschmutzer weltweit. Angesichts der Klimakrise und des allgemeinen Wandels in Richtung Nachhaltigkeit muss sich dringend etwas ändern. Einen Anfang bilden Innovationen und das Konzept der Kreislaufwirtschaft. Aber es ist noch ein langer Weg, der völlig neue Denkansätze für den gesamten Lebenszyklus eines Produkts vom Entwurf bis zur Wiederverwertung erfordern wird.

Die Bewältigung des Klimawandels und der enormen Umweltschäden ist eine der größten Herausforderungen, denen sich die Menschheit je gestellt hat. Die Stahlindustrie muss dabei eine wichtige Rolle einnehmen. Nach einer Schätzung des Weltklimarats von 2014 ist die Stahlproduktion für 5 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Zum Vergleich: Der Flugverkehr macht 2 Prozent der weltweiten Emissionen aus. Es liegt also auf der Hand, dass die Stahlhersteller und die unzähligen Branchen, in denen Stahl zum Einsatz kommt, sich mit den Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel auseinandersetzen müssen. Glücklicherweise haben sie dafür verschiedene Möglichkeiten.

 

Innovation in der Stahlproduktion

Es gibt einige Gründe für Optimismus in der Branche. Zum einen wird Stahl heute weitaus effizienter produziert als je zuvor. Die dafür nötige Energie ist in den letzten 50 Jahren drastisch gesunken und es besteht noch Potenzial für weitere Verbesserungen. Auch die Menge des aus Schrott gewonnenen Stahls hat zugenommen – mehr als ein Drittel des weltweit produzierten Stahls stammt heute aus recyceltem Material. Für Max Åhman, Dozent für Umwelt- und Energiesystemstudien an der Universität Lund in Schweden, sind diese Entwicklungen positiv, aber nicht ausreichend, um die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Vielmehr sieht er die Notwendigkeit bahnbrechender, innovativer Technologien, um Stahl zu einer nachhaltigen Ressource zu machen.

„Wir können und werden die Menge an Recyclingstahl erhöhen“, sagt er. „Wird der Stahl in einem mit erneuerbarer Energie betriebenen Elektrolichtbogenofen geschmolzen, dann sind die Emissionen nahe Null. Das ist zwar eine gute Sache, aber wir können nicht ausschließlich auf recycelten Stahl setzen. Erstens, weil die Nachfrage nach Stahl weltweit wächst, weshalb wir weiterhin mehr neuen Stahl benötigen. Zweitens, weil Qualitätsprobleme auftreten können. Es ist nicht immer möglich, Spezialstähle und andere Stahlsorten ausschließlich aus recyceltem Stahl herzustellen. „Es ist schön und gut, über Energieeffizienz und die CO₂-Bilanz zu sprechen“, fährt Åhman fort.

„Aber wir dürfen die langfristigen Herausforderungen nicht aus dem Blick verlieren, und das bedeutet, dass wir auch die schwerer zu erreichenden Ziele angehen müssen.“

„Müssen wir alle Hochöfen ersetzen und, wenn ja, womit?“, fragt er. Die am ehesten erfolgversprechenden Innovationen in der Stahlindustrie, so Åhman, basieren auf dem Ersatz von kohlebefeuerten Hochöfen durch Verfahren mit erneuerbaren Brennstoffen. Dieser Ansatz wird derzeit im Rahmen von öffentlich-privaten Kooperationen in Schweden (HYBRIT) und Deutschland (SALCOS) erprobt. Aus beiden Projekten lassen sich Methoden ableiten, mit denen Strom aus erneuerbaren Energien zur Erzeugung von Wasserstoff gewonnen wird, um diesen Wasserstoff dann in der Reduzierungsphase der Stahlerzeugung als Ersatz für Kokskohle zu nutzen.

Bei diesem Verfahren fällt als Nebenprodukt nur Wasser und kein CO2 an, wodurch theoretisch eine Stahlproduktion komplett oder nahezu ohne Emissionen möglich wird. „Es gibt hier keine technischen Unbekannten“, erklärt Åhman. „Eine direkte Wasserstoffreduktion und die Elektrolyse sind nicht das Problem. Was abzuwarten bleibt, ist die Frage, ob die Prozesse in großem Maßstab kosteneffizient und integriert umsetzbar sind.“ Allerdings bleibt nicht mehr viel Zeit, langfristige Weichen zu stellen. Angesichts der langen Investitionszyklen in dieser Branche müssen Investoren bald die Entscheidung treffen, wo sie im Jahr 2050 stehen wollen. „Wenn wir Hochöfen durch Direktreduktionsverfahren mit Wasserstoff ersetzen wollen, müssen wir uns im Grunde bis 2025 festgelegt haben. Das ist der Zeitraum, um den es hier geht“, so Åhman.

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Die Lebenszyklusanalyse

In unserer modernen Gesellschaft kommt Stahl überall zum Einsatz, weshalb seine Rolle in einer nachhaltigen Zukunft über die bloße Produktion hinausgehen sollte. Karin Östman, Senior Policy Advisor bei Jernkontoret, dem schwedischen Verband stahlproduzierender Unternehmen, befürwortet die Lebenszyklusanalyse als besseren Indikator für die Nachhaltigkeit von Stahl. LCA is about getting a truer measurement of a product’s impact from cradle to grave. Durch die Bewertung des gesamten Lebenszyklus eines Produkts, so wird argumentiert, kann man seine Umweltbilanz besser verstehen und bessere Entscheidungen über nachhaltige Wege treffen. Darüber hinaus bedeuten Fortschritte in der Produktion, dass Stahl einen positiven Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten kann. „Ein Beispiel dafür wäre die Entwicklung hochfester Stahlgüten“, erklärt Östman. „Kommt hochfester Stahl in Autos zum Einsatz, reduziert sich ihr Gewicht und sie werden kraftstoffeffizienter. Auf diese Weise trägt Stahl zu einer Senkung des Energieverbrauchs im gesamten System bei.“

Auch wird leicht übersehen, dass Nachhaltigkeit mehr umfasst als nur die Senkung von Emissionen. Bei Nachhaltigkeit geht es darum, einen lebenswerten Planeten zu erhalten oder, wie es die UNO in einer Beschreibung ihrer Ziele für nachhaltige Entwicklung definiert, „den Planeten zu schützen und das Leben und die Perspektive aller Menschen zu verbessern“. Diese Sicht teilen laut Östman viele in der Stahlindustrie. „Unsere Vision bei Jernkontoret: Bis 2050 wird die schwedische Stahlindustrie nichts mehr produzieren, was keinen Wert für die Gesellschaft schafft“, sagt sie. „Das bedeutet nicht nur null Emissionen und Abfall, sondern auch einen Beitrag zu einer besseren Gesellschaft. Gute Berufsaussichten und sicherere, gerechtere Arbeitsplätze sind ein wesentlicher Bestandteil davon“, so Östman.

 

Nachhaltiger Einsatz von Stahl

Auch wenn es noch einige Jahre dauern dürfte, bis der von Max Åhman beschriebene „grüne Stahl“ kommerziell erhältlich ist, bieten sich den Herstellern und Maschinenbauern schon jetzt nachhaltige Möglichkeiten. Der Lebenszyklusansatz von Jernkontoret kann helfen, Quellen für potenzielle Verbesserungen auszumachen. Wichtig dabei ist, dass die Lebenszyklusanalyse zu einem zentralen Teil des Konstruktionsprozesses wird. Viele Länder sowie zwischenstaatliche und nichtstaatliche Organisationen führen sogenannte Ökoinventare, mit denen sie die Auswirkungen von Produkten und deren Rohstoffen quantifizieren. Ziel ist es, dass die Datensätze in diesen Inventaren möglichst allumfassend sind und die Umweltauswirkungen von Rohstoffen, Herstellung, Transport, Endnutzung und vielem mehr bis zum Ende der Lebensdauer berücksichtigen. Dann ermöglichen diese Daten eine detaillierte Lebenszyklusbewertung für eine Vielzahl von Waren, wobei es einige grundlegende Aspekte gibt, die für fast jede Anwendung mit Stahl gelten.

 

Reduzieren, Wiederverwenden, Recyceln

Der erste Aspekt betrifft Materialeffizienz und Überdimensionierung. Die Lebenszyklusanalyse beginnt mit der Gewinnung von Ressourcen, und Überdimensionierung – ein Produkt stärker, größer oder komplexer zu machen, als seine Endnutzung es erfordert – ist per Definition ein ineffizienter Einsatz von Rohstoffen. Die Verwendung von Stahl aus recyceltem Material kann eine Möglichkeit sein, den Rohstoffverbrauch zu reduzieren. Je nach Anwendung könnten aber auch höherwertige Stähle eine Lösung sein, um eine Konstruktion zu optimieren und die Auswirkungen eines Produkts während seiner gesamten Lebensdauer zu reduzieren. It’s always advisable to consider the end of a product’s life at the design stage to enable a circular model.

Stahl ist endlos wiederverwertbar, aber die Verunreinigung mit anderen Metallen – insbesondere Kupfer – schränkt den Nutzen von recyceltem Stahl oft ein. Je nach Art des Produkts variiert die Recyclingfähigkeit erheblich, doch bereits in der Konstruktionsphase kann Einfluss darauf genommen werden, wie leicht sich die Teile demontieren lassen und ob bzw. wie oft sie mit anderen Metallen verschweißt werden müssen.

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